Tour de Verkehrswende 2024: von Eisenach nach Berlin

Am Samstag, dem 17.08.2024, startete die Tour de Verkehrswende (TdV) in Eisenach und radelte nach Erfurt geradelt. Das war die erste Touretappe; über 64 km ging es über Gotha entlang der sog. Thüringer Perlen- bzw. Städtekette in die Hauptstadt des Bundeslandes Thüringen. Die zweite Touretappe führte am Sonntag, dem 18.08.2024, weiter  über Weimar nach Jena.

Montag, 19.08.2024, dritter Tag der TdV 2024: von Jena nach Gera

Am Montag startete die TdV in Jena bei bestem Sommerwetter vom schönen und bequemen Quartier am Jenaer Ruder- und Sportverein, der natürlich direkt an der Saale gelegen ist, unweit vom Stadtzentrum.

Am Bahnhof Jena Paradies wurde eine kurze Pause eingelegt, um sodann in Richtung Osten aus dem Saaletal hinaus zu radeln und dem Gemdenbach zu folgen, durch den Jenaer Vorort Wogau und immer mit leichter Steigung in Richtung Bürgel. Die Sonne schien, es wurde fast schon sommerlich heiß. Der Blick auf die grünen Talhänge half, die Anstrengungen des Anstiegs zu dieser Wasserscheide zwischen Saale und Weißer Elster auf sich zu nehmen.

Ein kurzer Stop am schattigen Marktplatz des Städtchens Bürgel ließ rasch erkennen, dass hier eine Töpferstadt besucht wird. Am Ort gibt es zehn Töpfereien, in denen auch die traditionelle Bürgeler Keramik (dunkelblaue Alltagsgefäße mit weißen Perlmustern) hergestellt wird.

Überholungssstop vor Bürgel

Zur Mittagspause konnte der Marktplatz in der Kleinstadt Eisenberg bestens dienen: öffentliche Toiletten, Schatten spendende Bäume, Sitzbänke sowie eine Bäckerei und ein Kiosk gegenüber.

Mittagsrast am Markt von Eisenberg

Erstaunlich die Figur am Brunnen und auch der Name des gegenüberliegende Cafés. Die TdV blickte auf den als Wahrzeichen der Stadt geltenden „Mohrenbrunnen“, der zu Beginn des 18. Jhs errichtet worden ist. Dazu die folgende Sage: Dieser Mensch sei als „Diener“ zu einer örtlichen Gräfin zur Zeit der Kreuzzüge ihr „gekommen“, ihm sei der Diebstahl eines ihrer Schmuckstücke vorgeworfen und daraufhin die Todesstrafe verhängt worden, welche jedoch nicht vollstreckt worden sei, weil die Gräfin das Teil verlegt und wiedergefunden habe.

Brunnen auf dem Marktplatz

Die Weiterfahrt brachte dann die Belohnung für die Mühen des Anstiegs: Es ging hinab in das Tal der Weißen Elster – fast keine Steigungen mehr bis Gera.

Die Tour radelte durch die Stadt und konnte dabei sogar durch den Steinweg fahren und auch dort ihre Präsenz mit den Fahnen an den Rädern und skandiertem Verkehrwende-Motto zeigen. Die Kundgebung fand auf dem etwas trostlos aussehenden Vorplatz des Kultur- und Kongresszentrums statt, das ein Monumentalbau der sog. Ostmoderne aus dem Jahr 1981 ist. Damals hieß es „Kulturhaus“ und wurde auch als zweiter „Palast der Republik“ belächelt.

Die Kundgebung wurde von Bodo mit einer sachkundigen Einführung zu den aktuellen Problemen der Verkehrplanung eröffnet. Dann bat er den Baudezernenten von Gera, Michael Sonntag, die Radverkehrssituation und -entwicklung in Gera zu erläutern. So erfuhren die Tourteilnehmer, einige Mitarbeiter:innen der Stadtverwaltung, Mitglieder des örtlichen ADFC und interessierte Passanten, dass Gera – endlich – ein Radverkehrskonzept habe, das nun in die Umsetzung gebracht werden muss, was die üblichen und so auch hier anzutreffenden Probleme aufkommen lässt. Viele Maßnahmen werden zwar in dem Konzept genannt, aber gegen fast jede dieser Maßnahmen gebe es dann Einwändungen seitens einzelner Bürger, die von einigen Mitgliedern der Stadtparlamentsfraktionen aufgegriffen und als Blockadestrategie genutzt werden.

Immerhin sei es gelungen, feste Etatpositionen einzurichten. So können pro Haushaltsjahr 200.000 Euro sowohl für die Instandhaltung als auch für Neueinrichtung von Radverkehrsanlagen verausgabt werden. Zudem gebe es eine jährliche Berichtspflicht, die der Öffentlichkeit den Stand der Umsetzung des Radverkehrskonzepts zeige.

Zwei Besonderheiten hob Michael Sonntag noch hervor. In Gera sei der Rückbau von verkehrträchtigen Innenstadtstraßen kein grundsätzliches Problem, denn es gebe hinreihend breite Straßen und der Autoverkehr sei in Folge des Rückgangs der Bevölkerung nach der sog. Wende um fast 25.000 auf knapp 100.000 Einwohner moderat.

Die Stadt wird ab 2026 die noch in Betrieb befindlichen Tatra-Straßenbahnen tw. ersetzen durch 6 moderne und damit barrierefreie Niederflurstraßenbahnen.

Als nächster Redner trat Andreas Schubert von der Partei Die Linke auf. Er kritisierte, dass es in Gera kein umfassendes Mobilitätskonzept gebe, in das das Radverkehrskonzept eingebunden werden müsste. So müsste die Altstadt komplett autofrei werden. Als großes Hemmnis für eine nachhaltige Verkehrsplanung erweise sich die Fraktion der AfD in Gera, die einen Stimmenanteil von 30% habe.

Anschließend ergriff Friedrich Franke vom ADFC Gera das Wort. Mit großer Sachkunde diskutierte er Probleme und Erfolge der Rad- und allgemeinen Verkehrspolitik in Gera. So sei es gelungen, die Altstadt weitgehend autofrei zu machen. Für die Radverkehrsverbindungen innerhalb der Stadt und – wie späterhin bei der von ihm geführten Exkursion gezeigt – auch im angrenzenden Landkreisgebiet fehlen noch wichtige Lückenschlüsse, mit denen erst ein rasches und sicheres Radfahren für mittlere Wegstrecken möglich werde. Immerhin sei Gera keineswegs eine „Fahrradstadt“, denn im Modalsplit liege der Radverkehrsanteil bei ca. 5%. Das sei sehr wenig und solle, so die Zielvorgabe des Radverkehrskonzepts, auf 15% gesteigert werden.

Die Tour fuhr dann durch die Heinrichstraße, durch die kein Autoverkehr geht, sondern in der ein aufwändig gestalteter Umsteigebahnhof für Tram- und Busverkehr erbaut worden ist.

Weiter dann hinunter zur Weißen Elster, stadtauswärts auf einer für Radler recht heiklen Fahrbahnkonstellation. Ein recht schmaler Radstreifen (grundsätzlich nicht zu befahren von KfZ) muss hier von Radlern genutzt werden, der sie sehr dicht an parkenden PKWs vorbeiführt (eine unvorsichtig geöffnete PKW-Tür verursacht meist schlimme Unfälle), wobei die Radfahrer obendrein noch Straßenbahnschienen links neben sich haben, in die sie nicht geraten dürfen. Wenn Radler auf dem Radstreifen unterwegs sind, müssen überholende Kfz den Sicherheitsabstand von 1,50 m einhalten, was angesichts der insgesamt schmalen Fahrbahn zu einem Überholverbot gerät. Diese Lage ist vielen Kfz-Fahrern nicht bekannt bzw. sie ignorieren diese und bedrängen die Radfahrer. Das wird, so die auch hier von Friedrich Franke gezogene Schlussfolgerung, von vielen Radfahrinteressierten als gefährlich empfunden.

An der neu geschaffenen Station Zwötzen hob Friedrich Franke die gelungene Verknüpfung von Tram- und Busverkehr hervor, die den Umsstieg zwischen innerstädtischen Verkehrsmitteln und Umlandbussen sehr bequem macht.

Infostopp an Trams-Bus-Bahnhof von Zwösten

Leider seien keine hinreichend ausgestatteten Alternativwege verfügbar, die die Nutzung dieser Ausfahrtsstraße für Radfahrer entbehrlich mache. Um das Ziel zu erreichen, müssten sehr erhebliche Investitionen in den Wegebau getätigt werden. Für eine Stadt wie Gera, die im schmalen Tal mit langer Ausdehnung gelegenen ist, bleibt damit die Erreichbarkeit der südlichen Viertel und des Umlands für Radfahrer sehr unattraktiv.

Das Quartier für den Abend und die Nacht bot der Sportplatz Liebschwitz, mit großer Wiese für die Zelte, warmen Duschen und einer leckeren Abendmahlzeit, die Krischan und Jasmin vorbereitet hatten.

Nach dem Abendessen setzten sich die Touries zu einem Zwischenplenum zusammen. Zunächst stellten sich die neu Hinzugekommenen vor. Dann wurde über Gelungenes und Verbesserungswürdiges im Ablauf der Tagestour gesprochen. Und dass ein solches Gespräch zielorientiert abläuft und sich weder in Details verliert noch mit persönlichen Vorwürfen überfrachtet wird , dafür sorgte Philipp.

Dienstag, 20.08.2024, vierter Tag der TdV 2024: von Gera nach Zwickau

Der Morgen begrüßte die Touries zunächst ohne Sonne. Also: die Zelte feucht vom nächtlichen Tau, so nicht rasch zu trocknen. Aber diese Lage änderte sich rasch, schon während des leckeren Frühstücks, das die Küche vorbereitet hatte. Denn dann kam die Sonne hervor, mancher Zeltplane verhalf sie noch zu hinreichend geringer Feuchtigkei und den Touries zu guter Laune. Es konnte wieder losgehen, und zwar pünktlich, um 10:00 Uhr, nach vorheriger Ansage der letzten drei 5-Minuten-Intervalle. Geht doch!

Zeltwiese am Sportplatz Liebschwitz

Ungefähr 30 Tourteilnehmer radelten los, unter ihnen Bert Winkler vom ADFC Zwickau, der sie auf der Route begleitete und schon unterwegs interessante Informationen zum Vogtland, das durchradelt wurde, gab. Diese landschaftliche Region gehört anteilig zu Thüringen und zu Sachsen und ein kleiner Teil zu Bayern. Hier müssten drei Bundesländer den Regionalverkehr abstimmen und finanzieren, und das gelingt nur in geringem Maße. So musste Bert am Morgen auf Umwegen mit der Bahn anreisen, weil es keine durchgehenden Regionalbusverbindungen mit Fahrradtransport gibt.

Auf der heutigen Tour waren ungefähr 600 Höhenmeter zu bewältigen, und das lag nicht an hohen Bergen, sondern an vielen Anstiegen in dieser stark hügeligen Landschaft – und an der Trassenführung der B92, die eben nicht im Tal der Weißen Elster verläuft, sondern über die Anhöhen geführt wird. Im Elstertal hingegen hätte der Elsterradweg genommen werden können, wenn, ja wenn diese Tour keine genehmigungspflichtige Demonstration wäre, die von der Polizei auf solch schmalen Wegen nicht begleitet werden kann.

Den ersten Überholstopp gab es in Weida, einer eindrucksvollen Kleinstadt, die in einem tiefen Taleinschnitt an der Weida gelegen ist. Die Tour fuhr unter dem eisengeständerten Viadukt Oschütztal durch, das geradezu filigran (fragil?) wirkt, längst stillgelegt worden ist und unter Denkmalschutz steht. Die Fahrstraße unter der Brücke wird durch eine Hilfskonstruktion abgedeckt; von „oben“ scheint’s hier Unerwünschtes geben zu können.

Weida ist eines der vielen Städtchen in Thüringen mit einstmaligem Fürstensitz. So gibt es hier – wie auch in Greiz – ein durchaus imposantes Schloss.

Die Mittagsrast war verdient, denn bis Greiz waren fast 400 Hm Höhenmeter hinaufzuradeln, und zwischendrin natürlich auch einige rasante Abfahrten hinunter zu sausen. In Greiz – genannt „Perle des Vogtlandes“ – fuhr die Tour hinein in die Altstadt, in der auch das untere Schloss liegt. Auf dem Marktplatz gab es eine Stunde Pausenzeit, leider dort ohne Sitzbänke. Eine Besonderheit dieser Stadt zeigte sich hier: Greiz‘ Altstadt ist mehrfach abgebrannt, zuletzt bei einem großen Feuer im Jahr 1902. Der Wiederaufbau fand vielfach im Baustil dieser Zeit statt, d. h. es wurden hohe Bürgerhäuser errichtet, oftmals mit Jugendstilornamentik oder mit neoklassizistischer Fassadengestaltung. Für diese hohen Bauten waren und sind die Gassen der Altstadt zu eng.

Mittagspause am Markt von Greiz

Weiter ging es dann in Richtung Zwickau und somit auch über die Landesgrenze nach Sachsen. Hier gab es eine Ablösung der begleitenden Polizei. Die sächsische Polizei kam ausschließlich mit Motorrädern, um die TdV zu sichern.

Zwickau ist eine Großstadt, das war bei der Einfahrt durchaus zu erfahrbar, denn es ging über eine beträchtliche Strecke durch Vorortssiedlungen, meist entlang der einen (von insgesamt zwei) Trambahnstrecken, auch wiederum Meterspur, was das Navigieren inmitten des fahrbahnhöhengleichen Gleisbettes schon zu einer besonderen Konzentrationsaufgabe macht. Auch hier in Zwickau sind (noch) einige Tatra-Trambahnfahrzeuge im Einsatz, im Unterschied zu Gera jedoch ohne die Erweiterung um einen mittleren Waggonteil, der barrierefreies/armes Einsteigen ermöglicht.

Am Marktplatz versammelte sich die Tourgruppe zu einer Kundgebung, die Nora leitete. Sie befragte Gerd Winkler vom Zwickauer ADFC zur Verkehrssituation in dieser Stadt. Hier wurde Erstaunliches berichtet, denn dass eine Großstadt die Tramverbindung zum Hauptbahnhof außer Betrieb stellt, das ist kaum vorstellbar, in Zwickau aber so geschehen. Die Stadt behaupte, die notwendige Streckensanierung lohne sich nicht; ein Ersatzverkehr durch Busse sei ausreichend. Zudem soll – irgendwann – eine Neubaustrecke am Bahnhof vorbei geführt werden. Man könne das ja abwarten und bis dahin den Bus nutzen.

Kundgebung auf dem Marktplatz von Zwickau

Immerhin: Die Stadt Zwickau hat vor zwei Jahren ein Radverkehrskonzept verabschiedet, diesem jedoch keine Verbindlichkeit zugewiesen. Über alle anzugehenden Maßnahmen müsse jeweils die Stadtverordnetenversammlung abstimmen, und das führt wie auch in anderen Kommunen dazu, dass partikulare Interessen bestimmter Einwohner von Ratsfraktionen aufgegriffen werden, um Vorhaben zu verhindern oder dass generell politische Obstruktion betrieben wird. Damit scheitert die Grundidee, dass Einzelvorhaben im Rahmen eines Gesamtkonzeptes stehen und erst in diesem Rahmen ihren ganzen Nutzen entfalten.

Keineswegs einfach zu planen und umzusetzen ist in einer alten Stadt mit Fußgängerzonen, dass Radwegsverbindungen in und dann durch die Innenstadt führen. Dies müsste angegangen werden, um die Attraktivität des Radfahrens in Zwickau zu erhöhen. Die Tram zeigt es: Im gesamten Stadtgebiet gibt es „nur“ zwei Tramlinien, die grob gesprochen eine West-Ost- und eine Nord-Süd-Achse bedienen und auch die Innenstadt durchfahren. Diese beiden Linien haben am Neumarkt ihren Kreuzungs- und Umsteigepunkt.

Bei fast schon heißem Sommernachmittagswetter radelte die Tour in den Norden der Stadt in den eingemeindeten Stadtteil Crossen, jenseits der alten Stadtgrenzen entlang jenes Areals, das die „Wismut“ einst, d. h. zur Zeit der DDR, nutzte. Im Ort Crossen betrieb diese riesige, zunächst als sowjetische Aktiengesellschaft gegründete (und die als Reparationsleistungen enteigneten Bergbaubetriebe übernehmende) Firma, die 1953 in eine gemeinsam mit der DDR gegründete AG überführt wurde, die Aufbereitung von Uranerz, das aus den Bergwerken Thüringens und Sachsens angeliefert wurde. Die Herstellung von sog. Yellow Cake (Uran-Dioxid als Ausgansmaterial für Brennelemente) mit Schwefelsäure hinterließ beträchtliche Flüssigkeitsmengen mit radioaktiven und giftigen Stoffen (Arsen, Schwermetalle), die in Absetzbecken ausgefällt wurden. Eines dieser „Becken“ wurde in der Nähe von Crossen (ca. 5 km westlich) angelegt, „im“ Dorf Helmsdorf, das zwangsumgesiedelt wurde. Nach der „Wende“ sollte endlich die durch Regenwassereinsickerung bestehende Grundwasserkontaminierung angegangen werden, was durch Planenabdeckung des Absetzbeckens erreicht werden soll – für einen endlichen Zeitraum. Die Kosten für die gesamte Altlastenbeseitigung der Wismut trägt die vom Bund finanzierte Wismut GmbH; ca. 13 Milliarden Euro sind für einen Zeitraum von ca. 15 Jahren dafür eingeplant worden.

In der Nähe dieses Areals liegt das fast 100 Jahre alte Schwimmbad Crossen, das von einem Verein betrieben wird, weil die Stadt Zwickau den Betrieb nach der Eingemeindung von Crossen nicht übernehmen wollte. Das schön gelegene Bad hat weitläufige Liegewiesen, von hohen Bäumen umstanden, und dort konnten die Touries ihre Zelte aufbauen. Die sanitären Anlagen einschließlich der Duschen standen ihnen auch zur Verfügung und – last but noch least – das große Schwimmbecken. So konnte ein schöner und zugleich recht anstrengender Sommertag ausklingen.

Die Liegewiese des Freibades Crossen als Zeltplatz

Mittwoch, 21.08.2024, fünfter Tag der TdV 2024: von Zwickau nach Chemnitz

Eine Nacht im Freibad … – und weiter ging’s mit der Tour de Verkehrswende bei wiederum sonnigem, aber windigem Wetter in Richtung Chemnitz. Von dort war am Vorabend Olaf angereist, der berichtete, dass Chemnitz derzeit nur in Richtung Süden mit durchgehendem Zugverkehr und somit mit Fahrradtransport erreichbar ist. In die drei anderen Richtungen wird Schienenersatzverkehr angeboten, für Fahrgäste „only“. Dieses mal als aktuelles Beispiel für die notwendige Verkehrswende: für Radler muss der ÖPNV mit Fahrrad nutzbare Schienenersatzverkehrsfahrzeuge anbieten.

Die Route führte wie schon gestern durch das hügelige Erzgebirgsvorland, forderte also immer wieder mit Anstiegen und belohnte mit Abfahrten und schönen Ausblicken auf die meist bewaldeten Kuppen und die sich in das Bodenrelief einschmiegenden Felder. Die Tourleitung hatten Alex und Lukas.

Überholstopp unterwegs im Vorland des Erzgebirges

In Glauchau gab es einen ersten längeren Halt. Auf dem Ortseingangsschild war zu lesen: „Große Kreisstadt“, vor der Gebietsreform also Kreisstadt des Landkreises Chemnitzer Land, nunmehr eine Stadt im Landkreis Zwickau. Dies zeigt schon an, dass der Bevölkerungsrückgang massiv war. Und dieser wird noch mindestens ein Jahrzehnt erheblich bleiben, denn die Überalterung nimmt zu und der Wegzug junger Erwachsener nimmt nicht ab, was zu einer sehr niedrigen Geburtenrate führt. Die Stadt hatte zur DDR-Zeit ungefähr 33.000 Einwohner, nunmehr sind es 22.000, was einem Rückgang von über 30% gleichkommt.

Auch Glauchau war einst Residenzstadt und besitzt aus der Geschichte der wenig bekannten „Linie Schönburg“ zwei Schlösser. Heute ist jedoch eher der Eindruck dominant, dass Glauchau eine Industriestadt war, in der viele verfallende Fabrikationsgebäude (noch) stehen und auch einige Hauptstraßen in einem sehr schlechten Zustand sind.

Nach dem Durchfahren des weitläufigen Stadtgebiets fand am Bahnhof eine Pause statt. Das historische Gebäude wird – endlich – saniert, immerhin ein Verkehrsknotenpunkt, mit großem Güterverkehrszentrum nebendran, aber halt in Randlage der Stadt liegend. Erstaunlich: alle Toiletten sind unzugänglich, weil das Gebäude saniert wird. Auch hier scheint eine Verkehrswende dringend nötig: mehr Attraktivität für die Nutzung der Bahn!

Vor dem Bahnhof von Glauchau

Die Mittagspause fand irgendwo im Unterwegs statt, genannt Rüsdorf. Jedenfalls war eine kleine Bäckerei direkt nebendran, deren Angebot großen Zuspruch fand. Nebendran einige Baulichkeiten abgelebter Zeiten, eine verfallende Großmühle, eine Original-DDR-Garagenzeile …

Mittagsrast vor Originalgaragen

Am frühen Nachmittag erreichte die Tour Chemnitz und radelte über die erstaunlich breite Zwickauer Straße in Richtung Innenstadt: mindestens vier Fahrspuren sowie eine breite Trasse für die Tram in Mittellage. Am Industriemuseum, einem sehr schönen Ensemble aus Neubau und neu gestalteten Fabrikgebäuden, fand eine Kundgebung statt.

Vor dem Industriemuseum Chemnitz

Ben gab einige einleitende Hinweise zur jüngsten Geschichte von Chemnitz und übergab dann an Ralph Sontag, den Vorsitzenden des Kreisverbandes des ADFC. So war zu erfahren, dass Chemnitz derzeit auf vielen Baustellen dafür sorgt, dass die Stadt eine attraktive Europäische Kulturhauptstadt 2025 wird. Aber für die Radwege, die nun unterbrochen, umgebaut etc. werden, gebe es kaum sichere Umleitungen oder Umfahrungen. Zudem seien viele Kreuzungen wenig fahrradfreundlich, d.h., es gibt keine hinreichenden Bordsteinabsenkungen oder umständliche Übergänge. Und schließlich seien Radwege oftmals zu schmal für sicheres Überholen. Auch hier: die Verkehrswende ist dringend nötig!

Der Radverkehrsanteil dieser mit sehr breiten Straßen ausgestatteten (Innen-)Stadt ist leicht gestiegen aber mit ca. 6% noch immer im Vergleich zu anderen Großstädten sehr gering. Das anspruchsvolle Ziel: eine Erhöhung auf 12%. Diese Zielperspektive ist im Mobilitätsplan aufgeführt.

Anschließend gab Olaf Nietzel vom VCD Chemnitz ergänzende Hinweise. Der og. Mobilitätsplan sei von den Fraktionen CDU, FDP und AfD abgelehnt worden – eine beunruhigende Koalition!

Ein positives Beispiel für die Verkehrswende habe Chemnitz jedoch auch zu bieten: die Verknüpfung von Straßenbahn und Eisenbahn. Vorbild sei das Karlsruher Modell gewesen, das mit der sog. Regiotram auch in Kassel nachgeahmt worden ist. In Chemnitz ist es gelungen, bislang drei Bahnstrecken in das Stadtbahnsystem einzubinden. Die Systemübergangsstelle ist im/am Hauptbahnhof geschaffen worden. Die Regionaltrams fahren bis in die Innenstadt hinein (Zentralhaltestelle).

Bahnsteige der Regionaltram im Hauptbahnhof Chemnitz

Über die breite Bahnhofstraße – eine Pracht- und Aufmarschstraße der sozialistischen Stadtplanung – ging es dann in die gleichfalls sehr breite Brückenstraße. Hier finden sich zwei monumentale Bauwerke der DDR-Architektur: das SED-Bezirksgebäude mit dem Karl Marx Monument und schräg gegenüber das damalige Interhotel Kongreß, das nunmehr Congress Hotel Chemnitz heißt.

Ben ließ die Touries wissen, dass das Marx-Monument gern als „Nüschel“ bezeichnet wird und nach wie vor ein beliebter Treffpunkt ist: beim Nüschel verabredet man sich.

Hartmut Schmitz von „teil-Auto“ schilderte die große Erfolgsgeschichte dieses Carsharing-Angebots. Auf das eigene Auto zu verzichten lohne sich nach einer Durchschnittskalkulation der Anbieter in Deutschland, wenn weniger als 40.000 km/Jahr gefahren wird, was für die allermeisten Haushalte mit PKW der Fall ist. In Chemnitz hat teilAuto ca. 1800 Kunden und hält 50 Fahrzeuge für sie vor. In Deutschland sind es 82.000 Kunden und 2.000 Fahrzeuge.

Es gab noch ein schönes Pressefoto der T-Shirt-Tragenden der Tour de Verkehrswende mit ihrem Bären vor dem Nüschel. Dann wurde die nächste Station angefahren: der Hauptbahnhof mit den Bahnsteigen für die Regionaltram.

Vor dem Nüschel: Karl-Marx-Monument in Chemnitz

Über Nebenstraßen ging es weiter durch die Wohnviertel der Gründerzeit am Sonnenberg. Am „Katapult“ gab es noch einen Infostopp. Vor und in diesem alternativen „Kiosk“ (Kulturzentrum/Buchladen/Café) trafen sich viele junge Leute. Lars Fassmann, früher Mitglied des Stadtrates, schilderte den Umbau der Zietenstraße, die für den ärgerlichen Durchgangsverkehr unattraktiv gemacht werden soll.

Kiosk Katapult am Sonnenberg

Viele Touries nahmen sich ein Exemplar der aktuellen Ausgabe des „Katapult-Magazins“, in dem differenziert und kritisch die wirtschaftliche Lage in den neuen deutschen Bundesländern und die politischen Äußerungen der AfD analysiert werden. So wird gezeigt, dass es keinwegs wie insbesondere von der AfD behauptet, dort „bergab“ geht. Und die wörtlichen Zitate namhafter AfD-Politiker lassen keinen Zweifel, dass hier rechtsradikale, menschenverachtende und an die NSDAP-Politik anknüpfende Parolen geäußert werden.

Zum Nachtquartier auf dem Areal von „Walden“ (Verein für Erlebnispädagogik) liegt ca. 10 km auswärts und bot den Touries schattige Zeltflächen, Bänke und Tische mit Abendbeleuchtung, eine Sauna und eine Feuerstelle, an der der Abend ausklang.

Zeltwiese auf Walden e.V. in Euba

Donnerstag, 22.08.2024, sechster Tag der TdV 2024: von Chemnitz nach Freiberg

Eine Nacht unter Schafen! Ökologisch völlig korrekt übernehmen auf dem Gelände von Walden e.V. nicht die Menschen mit ihren Rasenmähern das Kurzhalten der Rasen- bzw. Wiesenflächen, sondern in partnerschaftlicher Arbeitsteilung mehrere Schafe. Letztgenannte versehen ihre Arbeit unaufdringlich und diskret. So inspizierten sie kurz vor Aufnahme ihres Tagewerks, also just nach Sonnenaufgang, die Räder, Fahnen und Zelte der Tour de Verkehrswende, schienen keine weiteren Eingriffe hier vornehmen zu müssen und wandten sich dann der Beweidung anderen Flächen des Areals zu. Frühstück also ohne Schafe, aber wieder mit Fläming Kitchen. Auch in Chemnitz sind Jasmin und Krischan fündig geworden mit schmackhaftem Biobrot, das das Müsli mit Äpfeln und Bananen ergänzte.

Dann ging’s weiter durch die hügelige Landschaft im Vorland des Erzgebirges, immer mal kleine Dörfer durchquerend, auf schmalen und kaum befahrenen Landstraßen. Die Dörfer liegen meist oberhalb des Baches, mit verstreuten Gebäuden am Hang, nicht selten ohne einen größeren Dorfplatz.

Erster kurzer Halt fand am eindrucksvoll renovierten Bahnhofsgebäude von Niederwiesa statt.

Halt am Bahnhof von Niederwiesa

Zur Mittagspause gab es eine herzliche Einladung von Kathleen. Sie ist Vorsitzende des Vereins „Wildes Oederau“ und betreibt am historischen und zugleich sehenswert mit modernen Blumenkästen und Bänken gestalteten Marktplatz einen Laden, in dem Wildkräuterprodukte angeboten werden, inkl. Kräuterwanderungen und -zubereitungskursen.

Die Touries probierten die vorbereiteten Kostproben, auf denen z.B. Mahonienpaste aufgetragen war. Delikat auch die marinierten Löwenzahnknospen. Zum Abschluss gab es sogar noch Kaffee und großen Dank an Kathleen und ihre Helferinnen.

Delikatessen aus Wildkräutern

Bei sommerlicher Sonne wurde weiter geradelt, durch das Auf und Ab der hügeligen und angenehm kleinteilig wirkenden Landschaft, meist mit Blick auf bewaldete Höhenrücken, die manchmal zu queren waren, die Straßen gesäumt von Alleebäumen.

Gruppenfoto mit Bär vor dem Rathaus von Oederau

Oberhalb von Oberschöna ereignete sich leider ein Sturz bei der Abfahrt. Also: die gestürzte Person wurde an den Fahrbahnrand gebracht, das ramponierte Fahrrad gleichfalls; fachkundige Touries und auch Polizisten meinten, dass eine ärztliche Versorgung erforderlich sei, ein Krankenwagen wurde geordert, der sehr rasch eintraf und den Kollegen ins nächste Krankenhaus nach Freiberg brachte. Sein Fahrrad wurde im Polizeifahrzeug transportiert. Am Abend war der Kollege wieder zurück in der Gruppe, mit Wundversorgung und guter Laune, aber mit einem kleinen OP-Termin für den nächsten Tag.

Für Schönau war eine Kuchenpause geplant, die wegen Zeitmangels auf das Abholen von kleinen Kuchenpaketen am Bäckerwagen reduziert werden musste. Die Tour radelte weiter nach Freiberg, umrundete zunächst die Altstadt auf dem Ring und staunte, dass Freiberg auch Stadtmauerreste zeigen kann. An den imposanten Bauwerken des Albertinum, im 16. Jh. als Lateinschule gegründet, heute Geschwister-Scholl-Gymnasium, vorbei ging es dann in die Altstadt hinauf, durch enge Gassen mit überwiegend historischen Gebäuden, zum Obermarkt.

Um das Eintreffen der Tour de Verkehrswende den Passanten und Geschäftsleuten eindrücklich werden zu lassen, umrundeten die Touries zunächst den gesamten Obermarkt, dessen Randweg erstaunlicher Weise keine Fußgängerzone ist. Aber zu den kuriosen Verkehrsverhältnissen in der keineswegs autofreien Altstadt Freibergs gehört sogar, dass die Längsverbindung zum Schloss über die Burgstraße im schlossnahen Bereich nicht mehr als Fußgängerzone ausgewiesen werden durfte. Die StVO ließ eine Umwidmung (!) zur Autostraße begründen, weil irgendwann irgendwer herausfand, dass die Gehwegshöhe zu gering ist.

Dann gab es eine kurze Ansprache am Brunnen des Obermarkts. Christian Möls von der Servicestelle Bildung für Nachhaltige Entwicklung begrüßte die Tour. Er hob hervor, dass sich sowohl die Bundesregierung als auch die Regierung des Landes Sachsen zu den Zielen der Agenda 2021 bekannt haben. In Freiberg haben sich die Initiativen in den Verein Freiberger Agenda 21  zusammen geschlossen, in dem sich auch die Stadtverwaltung engagiert. So gab es am vergangenen Samstag einen „Markt der Nachhaltigkeitsinitiativen“, auf dem sich 20 Gruppen vorgestellt haben. Christian Mädler ergänzte, dass Freiberg keine besonders rechtslastige Stadt in Sachsen sei und hier ähnliche politische Entscheidungsprobleme in der Verkehrspolitik bestehen wie in anderen Regionen.

Weiter ging es zum Nachtquartier ins Unisportzentrum. Dort gibt’s viel Rasenfläche zum Zelten und prima sanitäre Einrichtungen, auch eine große Halle, in der aber nur drei Tourteilnehmer sich niederlegten; alle anderen zogen die warme Sommernacht im Zelt vor.

Die Abendveranstaltung fand im Mehrgenerationenhaus „Buntes Haus“ statt. Zunächst setzten sich die Tourteilnehmer mit verkehrspolitischen Experten aus Freiberg in drei Diskussionsgruppen („Fahrrad“, „Fußgänger“ und „Carsharing“) zusammen und erörterten Forderungen für die Verbesserung der Mobilität in Freiberg.

Daran schloss sich ein Fotobericht von Christian Mädler an über eine Fahrradreise von Freiberg nach Vietnam, aus Zeitgründen gekürzt auf die Strecke Indien-Vietnam. Er war mit zwei Freund:innen unterwegs,  9.000 km, einmal quer durch Eurasien, mit sehr vielen freundlichen Einladungen von Menschen unterwegs, auch bei wenig bis keinen sprachlichen Verständigungsmöglichkeiten.

Die beiden Freiberger Christians mit Olli am Marktbrunnen

Einige Touries fuhren dann zusammen mit Christian in die „Stadtwirtschaft“, das für Biertrinker angesagte Eldorado mit riesigem Tank- und Fassbierangebot insbesondere nachbarschaftlicher, d.h. böhmischer, Provenienz. Ein interessanter Hinweis kam noch von Christian. Er ist studierter Politologe und hält gern und oft Vorträge über seine Fernreisen, so auch über seine Bahnreise von Freiberg nach Peking. Auf solchen Veranstaltungen sei es immer wieder möglich, mit Menschen ins angeregte und sogar politisch orientierte Gespräch zu kommen, die sich dem rechten Spektrum zuordnen. Also: Nicht nur Fernreisen verbindet, sondern auch das Zeigen von und Reden über Reisen in die Fremde.

Freitag, 23.08.2024, siebter Tag der TdV 2024: von Freiberg nach Dresden

Wieder Frühstück bei sommerlicher Morgensonne! Die Tour de Verkehrswende 2024  startete in die 45 km lange Etappe nach Dresden. Und der Schreiber dieser Zeilen musste sie leider verlassen, um anderen Pflichten nachzukommen und wünscht weiterhin gute Fahrt, schöne Zeit und interessante Kundgebungen und Erfahrungen!